Psychische Erkrankungen: Schwindel, das unterschätzte Symptom

Schwindelbeschwerden sind eines der häufigsten Symptome in der klinischen Praxis. Nicht immer liegt eine Störung des Gleichgewichtssinns vor oder sind neurologische oder kardiale Erkrankungen das Problem. Schwindel kann sowohl als Ursache für eine psychische Erkrankung, als auch als Symptom auftreten. Beides wird nicht immer erkannt.

Ursachen sind nicht immer körperlich

Schwindelbeschwerden sind in der hausärztlichen und neurologischen Praxis ein häufiges Symptom. Ihre Gesamtlebenszeitprävalenz wird auf 30 % geschätzt.1 Die Ursachen sind vielfältig, wobei das Auftreten nur in bis zu 50 % der Fälle mit einer vestibulären Funktionsstörung oder organischen Krankheit erklärt werden kann. Psychische Erkrankungen sind allgegenwärtig und so kann Schwindel ohne eine zugrundeliegende strukturelle Veränderung als Folge einer psychischen Erkrankung auftreten (psychogener Schwindel).2 Andererseits können sich aus Schwindelbeschwerden psychische Erkrankungen als Komorbiditäten entwickeln. Dabei scheinen insbesondere Patienten mit bestimmten schwindelverursachenden Erkrankungen wie vestibulärer Migräne oder Morbus Menière ein hohes Risiko für eine psychische Erkrankung aufzuweisen, wobei die häufigsten Komorbiditäten depressive und Angststörungen sind.1,3 Unlängst empfehlen Experten in Anbetracht der Komplexität von Schwindelbeschwerden eine Sichtweise ihrer Pathophysiologie, die sowohl strukturelle, funktionelle und psychische Störungen berücksichtigt und deren Diagnose und Therapie einen multidisziplinären Ansatz erfordert.4

Auf das Seelenleben achten

In der Regel konsultieren Patienten mit Schwindelsymptomatik zuerst ihren Hausarzt, einen Neurologen oder einen Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Wie Untersuchungen zeigen, werden psychische Erkrankungen in der neurologischen Praxis nicht immer erkannt.3 Da sie einen chronischen Verlauf nehmen können, ist es günstig, das Symptom Schwindel frühzeitig abzuklären, um eine geeignete Therapie oder präventive Maßnahme einzuleiten.1,3 Ebenso wichtig ist es, dass auch nach der Diagnosestellung organische Ursachen und mögliche Verstärker von Schwindel auf der Ebene von Emotionen und Verhalten weiterhin betrachtet werden.1 Therapiestrategien, die Patientenschulungen, Übungen zur vestibulären Rehabilitation, kognitive und Verhaltenstherapie sowie Medikamente umfassen, können hier die Morbidität erheblich reduzieren und haben das Potenzial für eine anhaltende Remission der Schwindelbeschwerden sofern sie systematisch zur Anwendung kommen.4

Referenzen

  1. Lahmann C et al. Psychiatric comorbidity and psychosocial impairment among patients with vertigo and dizziness. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2015;86:302-308
  2. Kelm Z et al. Psychogenic dizziness: an important but overlooked differential diagnosis in the workup of the dizzy patient. J Am Osteopath Assoc. 2018;118:e22-e27
  3. Limburg K et al. Neurologists´ assessment of mental comorbidity in patients with vertigo and dizziness in routine clinical care – comparison with a structured clinical interview. Front Neurol 2018; 9:957. doi: 10.3389/fneur.2018.00957
  4. Dieterich M et al. Functional (psychogenic) dizziness. Handb Clin Neurol. 2016;139:447-468