Epigenetik: Ein Schlüssel zum Verständnis der Schizophrenie?

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Trotz der bisherigen Fortschritte in der Ätiologie der Schizophrenie sind ihre genauen Ursachen noch unbekannt. Gegenwärtig wird angenommen, dass die Entstehung einer Schizophrenie auf ein multifaktorielles Wechselspiel zwischen biologischen und psychosozialen Ursachen beruht.1 Die Krankheit hat dabei eine starke genetische Komponente: Mit einem geschätzten Anteil von 80 % gilt sie als der einflussreichste Risikofaktor für die Entstehung einer Schizophrenie.2 In den vergangenen Jahren verdichteten sich die Anzeichen dafür, dass auch epigenetische Modifikationen eine wichtige Rolle in der Ätiologie und Pathophysiologie der Schizophrenie spielen3,4. Lesen Sie hier, was es damit auf sich hat und ob dadurch neue therapeutische Interventionen ermöglicht werden können.

Die Epigenetik kann als das Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen bezeichnet werden: Im Fokus stehen hierbei Mechanismen der Genregulation, die nicht auf Veränderungen der Desoxy-ribonukleinsäure (DNA)-Sequenz beruhen, jedoch dennoch an die nachfolgenden Generationen weitervererbt werden.5 Schon länger ist bekannt, dass epigenetische Mechanismen in der Entste-hung von chronischen Erkrankungen wie Asthma, bronchiale COPD und Krebserkrankungen invol-viert sind. Die Rolle der Epigenetik wird nun zunehmend auch bei psychischen Erkrankungen wie der Schizophrenie diskutiert. Zu den epigenetischen Modifikationen, die an der Entstehung einer Schizophrenie beteiligt sein könnten, gehören:

  • DNA-Methylierung: Anfügen von Methylgruppen (-CH3) an die Nukleinbase Cytosin mit der Folge, dass die betroffenen Gene nicht mehr abgelesen bzw. exprimiert werden4
  • Histonmodifikationen: Chemische Veränderungen an den Histon-Proteinen, welche an der Verpackung der DNA und der Expression von Genen beteiligt sind. Durch die vielfältigen Modifikationen kann die Transkription der sich auf den Histonen befindlichen Gene gefördert bzw. gehemmt werden4
  • Nicht codierende RNA: Damit sind RNA-Moleküle gemeint, die nicht für Proteine codieren, d.h. nicht in Proteine übersetzt werden. Bisher ist bekannt, dass sie an Vorgängen wie der Chromatin-Remodellierung, Gentranskription, Translation und dem Abbau von mRNA beteiligt sind. 4

Umweltfaktoren hinterlassen Narben im Erbgut

Während einige epigenetische Modifikationen bei Schizophrenie vermutlich rein genetischen Ursprungs sind, scheint ein großer Teil von epigenetischen Veränderungen durch Umweltfaktoren verursacht zu werden. Jedoch ist zu beachten, dass auch in diesen Fällen genetische Faktoren eine Rolle spielen können.4 In diesem Sinne können epigenetische Modifikationen bei Schizophrenie molekulare „Narben“ einer Exposition gegenüber bestimmten umweltbedingten Widrigkeiten darstellen, vor allem dann, wenn sie verstärkt in sensiblen Entwicklungsphasen auftraten.4

Beispielsweise können Umweltfaktoren wie mütterlicher Stress oder maternale Immunaktivierung während der Schwangerschaft oder unzureichende mütterliche Fürsorge nach der Geburt eine Hypermethylierung des regulatorischen Bereichs des Gens GAD1 (Glutamat-Decarboxylase 1) bewirken. In Modellsystemen für Schizophrenie und ähnliche Erkrankungen zeigte sich zudem, dass der epigenetische Umbau des regulatorischen Bereichs GAD1 auch eine verstärkte Bindung von DNMTs und MeCP2 an der GAD1-Promoterregion miteinschließt. All diese Modifikationen resultieren in eine verringerte Transkription der GAD67 mRNA, die mit einer gestörten neuronalen Synchronisation und Inhibition sowie mit kognitiven Defiziten assoziiert wird.4 Etliche weitere epigenetische Modifikationen konnten identifiziert werden, die bei Patienten mit Schizophrenie im Vergleich zu normalgesunden Kontrollpersonen gehäuft auftreten.4

Epigenetik kann Therapie der Zukunft stützen

Ein besseres Verständnis der epigenetischen Komponente der Schizophrenie kann dabei nicht nur unser Wissen zur Ätiologie und Pathophysiologie dieser Erkrankung erweitern, sondern auch eventuell neue therapeutische Interventionen ermöglichen. Beispielsweise könnten epigenetische Biomarker dabei helfen, frühzeitig Menschen mit einem erhöhten Risiko für eine Schizophrenie zu identifizieren.4 Die Möglichkeit, frühzeitig zu intervenieren und dadurch die Entwicklung einer Schizophrenie bereits im Vorfeld zu verhindern ist Zukunftsmusik – der Blick darauf, was zukünftig in der Behandlung der Schizophrenie möglich sein könnte, ist bereits jetzt faszinierend.

Referenzen

  1. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) (Hrsg.). S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankun-gen. AWMF-Register Nr. 038-020. Online verfügbar unter:  https://www.awmf.org/uploads/tx_szleit-linien/038-020l_S3_Psychosoziale_Therapien_bei_schweren_psychischen_Erkrankungen_2019-07.pdf (Stand: 26.07.2021).
  2. Stilo SA, Murray RM. The epidemiology of schizophrenia: replacing dogma with knowledge. Dia-logues Clin. Neurosci. 2010;12:305-315.
  3. Smigielski L et al. Epigenetic mechanisms in schizophrenia and other psychotic disorders: a sys-tematic review of empirical human findings. Mol Psychiatry. 2020;25:1718-1748.
  4. Richetto J und Meyer U. Epigenetic Modifications in Schizophrenia and Related Disorders: Mo-lecular Scars of Environmental Exposures and Source of Phenotypic Variability. Biol Psychiatry. 2021;89:215-226.
  5. Hamilton JP. Epigenetics: Principles and Practice. Dig Dis. 2011;29: 130-135.