Schizophrenie und Partnerschaft – Liebe mit Hürden

Liebe und Sexualität sind für die meisten Menschen untrennbar miteinander verknüpft. Sexuelle Probleme können die Lebensqualität negativ beeinflussen und die Partnerschaft erschweren. Liegt zusätzlich eine psychische Erkrankung vor, kann auch diese einen Einfluss auf das Liebesleben ausüben: 40-70 % der Menschen mit Schizophrenie berichten von Beeinträchtigungen in ihrer Sexualität und Partnerschaft.1,2 Bei der Auswahl des richtigen Medikaments sollte Rücksicht auf die sexuelle Funktion Betroffener genommen werden. Denn so können PatientInnen entlastet und ihre Lebensqualität hinsichtlich Partnerschaften aufrechterhalten werden.

Sexualität und Schizophrenie

Gesundheit, Lebensqualität und Sexualität sind eng miteinander verbunden und so verwundert es nicht, dass Sexualität sogar ein gesundheitsförderndes Potenzial birgt.3-6 Treten allerdings in einem dieser Bereiche Beeinträchtigungen auf, kann das bereits für Menschen ohne psychische Erkrankungen eine große Belastung sein. Für Menschen mit psychischen Erkrankungen können Probleme sexueller Natur ein besonders ausgeprägter Stressfaktor sein.7

Das Biopsychosoziale Störungsmodell sexueller Störungen beschreibt die verschiedenen Faktoren, die zu sexueller Dysfunktion beitragen und den Einfluss, den diese Faktoren auf sexueller Ebene haben (siehe Abb.).2 Bestehen beispielsweise gewisse Prädispositionen psychologischer oder biologischer Natur, wie ein negatives Körperbild oder hormonelle Veränderungen, kann dies die Sexualität beeinflussen. Auch der Status der Partnerschaft beeinflusst die Sexualität. Frisch verliebte Paare können beispielsweise kaum voneinander ablassen, wohingegen Paare, die schon lange zusammenleben, eher dazu tendieren weniger häufig intime Zweisamkeit zu pflegen. Weiterhin haben auch soziokulturelle Faktoren einen Einfluss auf die Sexualität. Diese bestehenden Prädispositionen können durch einen Auslöser zu sexuellen Problemen führen. Auslöser können in vielfältiger Gestalt auftreten: Depressionen, Stress und Müdigkeit, inadäquate Stimulation oder sexuelle Dysfunktionen des Partners. Ist dann das sexuelle Problem erst einmal vorhanden, können Scham- und Schuldgefühle, Vermeidungsverhalten, Enttäuschung und Vorwürfe des Partners, aber auch Selbstvorwürfe und ein niedriges Selbstwertgefühl zu einer Aufrechterhaltung der Situation führen.

Historische Misskonzepte rund um Sexualität und Schizophrenie²

Die Geschichte des Themas Schizophrenie und Sexualität ist von einigen kuriosen Misskonzepten geprägt, die im Folgenden kurz beleuchtet werden:

  • Henry Maudsley beschrieb 1873 die Schizophrenie als „Masturbatory Insanity“, die als Folge der Selbstbefriedigung auftritt
  • 1917 stellte Sigmund Freud die These auf, dass Schizophrenie eine Abwehr gegenüber homosexuellen Impulsen sei
  • Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts galten sexuelle Exzesse als Ursache für die Entwicklung einer Schizophrenie
  • In den 1940er Jahren beschrieb Manfred Bleuer erstmals anhand von 200 PatientInnen mit Schizophrenie Kategorien des erotischen Erlebens.
  • Trotzdem galten Menschen mit Schizophrenie bis hin in die 1980er Jahre als asexuell

 

Der heutige Kenntnisstand

Heutzutage ist bekannt, dass bei Wahn- und Halluzinationsepisoden in 20-30 % der Fälle durchaus Themen aus den Bereichen Sexualität und Liebe eine Rolle spielen und Menschen mit Schizophrenie ein ebenbürtiges sexuelles Interesse haben wie Menschen ohne psychische Erkrankung.2,8 Jedoch kann dieses Interesse nicht immer in dem gewünschten Maße ausgelebt werden, was unterschiedliche Gründe haben kann: Bei PatientInnen mit Schizophrenie liegt im Allgemeinen ein geringeres Selbstvertrauen vor, wodurch das Knüpfen zwischenmenschlicher Kontakte erschwert sein kann. Dies beeinflusst die Ausbildung partnerschaftlicher Beziehungen und die daraus resultierende sexuelle Aktivität.2Auffällig sind jedoch die bestehenden Geschlechterunterschiede. Denn Frauen mit Schizophrenie gelingt es häufiger, Partnerschaften zu führen, eigene Kinder zu bekommen und auch zu heiraten. Mögliche Gründe dafür könnten in dem späteren Ausbruch der Erkrankung bei Frauen im Vergleich zu Männern sein.2,9

Möglicher Einfluss von Antipsychotika auf die Sexualität

Doch nicht nur die Schizophrenie selbst kann eine Einschränkung der Sexualfunktion mit sich bringen – die Einnahme von Antipsychotika kann als mögliche Nebenwirkung ebenfalls zu sexueller Dysfunktion führen. Das kann auf mehrere Mechanismen zurückgehen. Beispielsweise können Antipsychotika der zweiten Generation durch das Blockieren von D2-Rezeptoren des dopaminergen Systems zu einem Verlust des Spaßes an sexueller Aktivität führen. Daher sollte bei der Wahl der antipsychotischen Medikation eine individuelle Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses auch hinsichtlich des Liebeslebens der Betroffenen erfolgen. Denn: Unterschiedliche Antipsychotika haben unterschiedliche mögliche Einflüsse auf die Sexualfunktion (Tabelle 1).

Tabelle 1: Antipsychotische Medikamente und ihr möglicher Einfluss auf die Sexualfunktion.10

Bei medikamentenbedingter Störung der Sexualfunktion können verschiedene Lösungswege eingeschlagen werden. Eine Option besteht darin, abzuwarten, ob die Symptomatik von selbst eine Besserung erfährt. Dies ist allerdings bei nur 6-17 % der Betroffenen nach 6 Monaten der Fall.11 Weiterhin kann die Dosis reduziert oder auch eine Einnahmepause am Wochenende erfolgen, allerdings könnte eine negative Auswirkung auf die Compliance oder die Verschlechterung der Symptome mögliche Konsequenzen sein.11Ein Wechsel auf ein anderes Antipsychotikum ist ebenfalls möglich.11Außerdem kann eine Komedikation erfolgen. Dabei erhalten PatientInnen mehrere Medikamente wie z. B. Risperidon und Bupropion oder ein Antipsychotikum in Kombination mit Sildenafil.11So wird die Schizophrenie fortlaufend therapiert und die Sexualfunktion erhalten oder wiederhergestellt.

Fazit

Menschen mit Schizophrenie sehnen sich wie andere auch nach zwischenmenschlichen Beziehungen und einer erfüllten Sexualität. Partnerschaft und Sexualität bringen zwar für Menschen mit Schizophrenie einige soziale, psychische und medizinische Herausforderungen mit sich, aber genau aus diesem Grund verdient das Thema mehr Aufmerksamkeit in der Praxis. Eine verbesserte Beratung für Betroffene und PartnerInnen oder Angehörige könnte im Endeffekt einen deutlichen positiven Einfluss auf die Lebensqualität mit sich bringen. Die Wahl der Therapie sollte daher unter Berücksichtigung der PatientInnenbedürfnisse auch hinsichtlich der Sexualität erfolgen. Dabei können insbesondere die Wirkmechanismen der jüngeren Antipsychotika sowie die korrekte Dosiseinstellung oder eine passende Begleitmedikation eine große Rolle spielen.

Referenzen

  1. Montejo AL et al. World Psychiatry. 2018;17: 3-11
  2. Krüger T. “Auch mit Schizophrenie lieben: Geht das?“ Vortrag anlässlich der virtuellen Veranstaltung „Schlaglicht Psychiatrie – Aktuelles vom ECNP-Kongress“. 21.-22. Januar 2022.
  3. Levin RJ. Sex Relat Ther. 2007;22:135-148
  4. Little KC et al. Pers Soc Psychol Bull. 2010;36:484-498
  5. Brody S. J Sex Med. 2010;7(4 Pt 1):1336-1361 DE-AM-2200083 DE-ABIM-1141
  6. Davison SL et al. J Sex Med. 2009;6:2690-2697
  7. Clayton AH et al. Expert Opin Drug Saf. 2014;13:1361-1374
  8. De Boer MK et al. Schizophr Bull. 2015;41:674-686
  9. Fortier P et al. Schizophr Bull. 2003;29:559-572
  10. Benkert O & Hippius H. Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. Kapitel 8. 12. Auflage, 2019.
  11. Montejo AL et al. J Clin Med. 2021;10:308